Andri Stadler: 2+2=5

Andri Stadler: 2+2=5

Online Viewing Room
Opening

Jan 16, 2021 10:00 AM

Closing

Apr 3, 2021 6:00 PM

Location

Galerie Mark Müller

Hafnerstrasse 44

8005 Zürich

Mitwirkende Künstler
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Als Kind fuhr Andri Stadler mit seinen Eltern während den Ferien von Aadorf im Kanton Thurgau nach Ardez, wo seine Mutter aufgewachsen war. Vom weitläufigen Flachland führte die Strecke über den Flüelapass ins Unterengadin. Schon damals faszinierte ihn die karge Hochgebirgslandschaft auf der Passhöhe, die den Übergang in eine andere Sprach- und Kulturregion markiert. Seit 2018 überquert Andri Stadler für sein fotografisches Projekt «Übergang – Passagi» mit seinem mobilen Atelier grössere und kleinere Pässe des Alpenhauptkamms und knüpft damit an das Kindheitserlebnis an. Die Übergänge interessieren ihn dabei nicht nur in geografischer und kultureller Hinsicht, es sind auch die alpinen Landschaften und die dort herrschenden Naturgewalten, die Andri Stadler anziehen. Auf den Pässen, einer Art «Nullzone», wie sie der Künstler bezeichnet, geben natürliche Kräfte den Takt vor; sie können ebenso bezaubernd wie mächtig oder gar bedrohlich sein. Entlegene, schwer erreichbare, häufig auch einsame Orte, die in ihm das Gefühl des Ausgesetztseins wecken, reizen Andri Stadler, wie auch frühere Serien belegen, die er etwa in Schottland (2014) oder auf dem zugeschneiten Gotthardpass (2016) realisierte. Andri Stadler sucht und findet Landschaften und Orte, die ihn berühren, ja vielleicht sogar erschauern lassen, und ihn dazu bewegen, stillzustehen und die Kamera zu positionieren. In seiner ersten Ausstellung in der Galerie Mark Müller zeigt Andri Stadler zwei Fotografien, die auf kleineren Nebenpässen des Lukmaniers mit den klingenden Namen Passo dell’Uomo und Passo delle Colombe entstanden sind. Die zarten Farbverläufe, weichen Übergänge, satten Überlagerungen und die Unschärfe verleihen den beiden Fotografien eine berückend malerische Wirkung. Anstelle eines Objektivs experimentiert Andri Stadler mit dem Licht, mit optischen Werkzeugen und Filtern, was zu einem aussergewöhnlichen Farberlebnis führt. Die Kamera wird ihm gleichsam zum Pinsel, mit dem er «en plein air» Bildkompositionen gestaltet. Die Reduktion visueller Reize ist auch hier – wie im gesamten Schaffen von Andri Stadler – bestimmend. Mit seinem präzisen Blick fängt er die zahlreichen Natureindrücke ein, schiebt sie übereinander, überlagert Ebenen und bildet damit eine Essenz verschiedener Blickerfahrungen in die Landschaft, die weit über ein Abbild der Realität hinausgeht. Die Bilder rufen eine Ahnung von Landschaft hervor und wecken Assoziationen, bleiben letztlich aber unfassbar und lassen sich trotz Titel nicht verorten. Die Frage nach der subjektiven Wahrnehmung und der Zweifel an der Eindeutigkeit des fotografischen Bildes beschäftigen Andri Stadler seit jeher. Zwei Tuschearbeiten ergänzen die beiden C-Prints und bilden mit ihren dunklen, matten Oberflächen einen anregenden Kontrast zu den stark glänzenden Oberflächen. Die Arbeit mit der schwarzen Tusche auf dem Büttenpapier ist Andri Stadler eine Vertiefung seines fotografischen Prozesses. Ausgehend von den digitalen «Vor-Bildern», die er im Atelier auf seinem Bildschirm anzeigt, übersetzt er die Fotografien in ein neues Medium, prüft sie so hinsichtlich formaler und kompositorischer Aspekte, reduziert und abstrahiert. Und dann passiert in der Auseinandersetzung zwischen Fotografie und Tuschemalerei etwas, was vielleicht als Zwiegespräch bezeichnet werden könnte. Diesem Dialog kann nun auch in der Ausstellung gelauscht werden; er mag die produktive, unsichtbare Variable sein, auf die Andri Stadler in seinem Ausstellungstitel anspielt. «2+2=5» – ein Zitat aus George Orwells dystopischem Roman 1984 – lässt sich aber auch als Prinzip verstehen, kritisch unsere Wahrnehmung zu reflektieren. Andri Stadlers Fotografien zu begegnen ist anspruchsvoll, oft ist auf den ersten Blick nur wenig zu erkennen und je nach Betrachtungsstandpunkt werfen uns die glänzenden Oberflächen auf uns selbst zurück. Es lohnt sich unbedingt, dranzubleiben und in eine Bildwelt fern jeglichem oberflächlichen Pathos einzutauchen.

Patricia Bieder, Kunsthistorikerin

Andri Stadler (*1971), aufgewachsen in Aadorf (TG), lebt seit vielen Jahren in Luzern und arbeitet in Emmenbrücke. 1996–1999 Studium Freie Kunst, HSLU D&K, zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen

Externer Link:
https://www.markmueller.ch/