Ursula Biemann, Juliana Curi, Patricia Domínguez, Dorota Gawęda & Eglė Kulbokaitė, Laura Huertas Millán, Katarzyna Machałek & Łukasz Machowski, Shirin Neshat, Rachel Rose, Tai Shani, Hylozoic/Desires (Himali Singh Soin & David Soin Tappeser)
(Re)connect präsentiert zehn Filme von Künstler*innen und Filmemacher*innen, deren Arbeiten sich mit historischer Narration und kollektiven Erinnerungskulturen auseinandersetzen. Sie erforschen das in Mythen und Liedern, in mündlichen Überlieferungen, tradierte Wissen. Die Filme vermitteln dieses vom Verschwinden bedrohte kulturelle Erbe und öffnen gleichzeitig unseren Blick für neue mögliche Wege in die Zukunft.
Von Beginn an spielten in allen Kulturen das Bewegtbild und die Entwicklung des Kinos eine entscheidende Rolle in der Repräsentation von Geschichte und alltäglicher Wahrnehmung. Die Kinematographie ist heute eine Sprache, die unser Verständnis von realen und imaginären Momenten steuert. Die in der Ausstellung gezeigten Künstler*innen verwischen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, indem sie eindrucksvolle visuelle Welten und ausgedehnte Klanglandschaften schaffen, in denen sich die Genres der Science Fiction, des experimentellen Kinos, des Dokumentarfilms und der Videokunst kreuzen. Dadurch ermöglichen sie die Schärfung des Bewusstseins für komplexe historische Zusammenhänge und häufig übersehenes kulturelles Erbe. Sie ermöglichen Gemeinschaft und kollektive Erzählungen.
In diesen Filmen entstehen Geschichten, in denen Animismus und Illusion die Landschaften durchdringen. Für Künstler*innen wie Patricia Domínguez, Ursula Biemann sowie Dorota Gaweda & Egle Kulbokaite überschreiten die Werke auch die Grenzen zwischen spirituellen und parallelen Welten (Quantenreichen). Dabei verbinden sie überliefertes Wissen mit zeitgenössischer Wissenschaft, wo Leben an der Schwelle zwischen Lebenden und Toten entsteht. Andere, wie Tai Shani und Laura Huertas Millán beschäftigen sich mit der Botanik, um Pflanzen und Pilze als Visionen für die Gesellschaft zu begreifen, aus der sich neue Zukünfte entwickeln können.
In den zehn Film- und Videoarbeiten von (Re)connect wird die Natur sowohl zur Bühne als auch zur Akteurin. Traditionelle Erzählungen – ob aus indigenen Gemeinschaften, antiken Mythologien oder slawischer Folklore – zeigen, wie Menschen über Kulturen hinweg in Beziehung zu ihrer Landschaft stehen. Doch die Landschaft ist nicht bloss Kulisse, sondern eine Figur mit eigener Handlungsfähigkeit, die den Plot der filmischen Werke prägt. Gleichzeitig setzen sich die Protagonist*innen dieser Filme mit der Vergangenheit und ihren geerbten Traumata auseinander. Sie hinterfragen dabei vorherrschende, aber reduktive Beziehungen zwischen Natur und Kultur, Männern und Frauen, Ökologie und Technologie.
Kuratiert von Olga Generalova
Begleitet von Gaby Fierz und Flavia Spichtig, Vorstand Ausstellungsraum Klingental
///
Ursula Biemann: Forest Mind, 2021 (31 Min.)
Im kolumbianischen Amazonas-Regenwald erforscht Forest Mind die Intelligenz der Natur aus wissenschaftlicher und indigener Perspektive. Der Film untersucht die Beziehungen zwischen Pflanzen und Menschen, die Metaphysik von Pflanzen, wie Leben Informationen speichert und verwischt damit die Grenzen zwischen moderner Wissenschaft und schamanischem Wissen. Er hinterfragt koloniale Narrative und dekolonisiert Wissen, in dem er die Bedeutung von indigenem Wissen hervorhebt und eine Verbindung herstellt zwischen Pflanzenneurobiologie, Ethnobotanik und Quantenbiologie.
Juliana Curi: UÝRA – The Rising Forest, 2022 (72 Min.)
UÝRA – The Rising Forest folgt Uýra, indigene*r Künstler*in und Biolog*in, auf einer Reise durch den Amazonas. Uýra inspiriert mit Performancekunst und überliefertem Wissen indigene Jugendliche und setzt sich gleichzeitig gegen Rassismus, Transphobie und Gewalt gegen die Natur ein. Uýra verwandelt sich zu Uýra Sodoma, einem mit Pflanzen geschmückten Wesen, das die Stimme des Waldes und zugleich die Verbindung von Kunst und Aktivismus verkörpert und damit Sinnbild wird für die Bewahrung des Amazonas und die Rückeroberung vorkolonialer Werte.
Patricia Domínguez: Three Moons Below (Tres Lunas más Abajo), 2023/24 (53:53 Min.)
Der Film Three Moons Below erkundet die Zwischenräume zwischen Spiritualität und parallelen Realitäten, indem er überliefertes Wissen mit moderner Wissenschaft verbindet. Er begleitet eine Protagonistin mit ihrem robotischen Vogelgefährten auf einer Reise durch mystische Portale, die durch die Annäherung von CERN-Experimenten und antiken Petroglyphen in der Atacama-Wüste geschaffen wurden. Unterwegs begegnen sie verschiedenen Wesen und erlangen Fähigkeiten, die von himmlischen und irdischen Energien inspiriert sind. Der Film spiegelt Domínguez' Forschungen in Ethnobotanik und über südamerikanische Heilpflanzen wider und vermittelt eine Vision von vernetzter Existenz.
Dorota Gawęda & Eglė Kulbokaitė: Brood (Scene 5), 2024 (35 Min.)
Brood (Scene 5) ist das neueste Video der Brood-Serie, die den polyphonen Gesang der Frauen der Isokratisses in Zusammenarbeit mit dem Soundproduzenten OXHY präsentiert. Das Video ist inspiriert von den Mirologi, einer traditionellen Form von Trauerliedern, die an Gräbern in Epirus vorgetragen werden – einer historisch umkämpften Region an der Grenze zwischen Griechenland und Albanien. Die Hauptfigur, der Upiór – eine vampirartige Gestalt aus der slawischen Folklore, die zwei Seelen in sich tragen soll – dient als Brücke zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten. Sie kennt die Lieder, ein kulturelles Erbe, das von der tiefen Verbundenheit mit ihrem Land und der Umwelt zeugt und insbesondere von Frauen bewahrt und weitergegeben wird. Hier eines der Lieder mit dem Titel Touti Yis Leni Mou: Diese Erde, meine Leni / Diese Erde, auf der wir gehen / Wir alle treten in sie ein … Diese Erde mit den Blumen / Frisst junge Frauen und Mädchen / Diese Erde mit den Veilchen / Frisst alte Frauen wie Süssigkeiten.
Laura Huertas Millán: Jíibie, 2019 (25 Min.)
Jíibie ist Teil einer Serie über die missverstandene Geschichte der Kokapflanze. Ursprünglich aus den Anden in Südamerika stammend, wird die Kokapflanze meist mit der Herstellung von Kokain in Verbindung gebracht. Doch sie hat weit mehr Bedeutungen. Der Film konzentriert sich auf die Muiná-Muruí-Gemeinschaft im kolumbianischen Amazonas und zeigt ihr Ritual der Herstellung von Mambe, einem grünen Kokapulver, das Jíibie genannt wird. Die Gemeinschaft erachtet das Kokablatt als heiliges, weibliches Wesen und nicht nur als ausbeutbares Produkt. In den Ritualen und dem Mythos der Entstehung von Mambe wird der Respekt und die Fürsorge, die die Gemeinschaft der Pflanze entgegenbringt, deutlich. Der Film deckt die Missverständnisse auf und stellt ihre Kriminalisierung infrage, die ihre wahre kulturelle und spirituelle Bedeutung überschattet haben.
Katarzyna Machałek & Łukasz Machowski: Day and Night (Dzień i Noc), 2022 (89 Min.)
Day and Night spielt in den mysteriösen Wäldern Ostpolens und thematisiert Folklore, weibliche Solidarität, die mythische Rolle von Frauen und das Altern. Der Film zeichnet sich durch eine Mischung aus Fiktion und Dokumentation aus, wechselt ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart und erzeugt so ein Gefühl der Dualität. Aus weiblicher Perspektive erzählt, feiert er die Stärke und Einheit von Frauen durch gemeinschaftliches Singen.
Shirin Neshat: Mahdokht (Women without Men Series), 2004 (14 Min.)
Mahdokht (Women without Men Series) erzählt die magische und eindringliche Geschichte einer Frau, die zwischen ihrer Angst vor Sexualität und ihrem Verlangen nach Fruchtbarkeit hin- und hergerissen ist. Um dem gesellschaftlichen Druck zu entkommen, zieht sich Mahdokht in einen üppigen, mystischen Garten in der Wüste zurück, wo sie sich in einen Baum verwandelt, um Früchte zu tragen und ihren Samen zu verbreiten. Durch surreale Bilder und persische Mythen erforscht der Film Themen wie Unterdrückung, Selbstbestimmung und Freiheit und spiegelt die Kämpfe von Frauen in patriarchalen Gesellschaften wider. Inspiriert von Shahrnush Parsipurs verbotenem Roman Frauen ohne Männer verbindet er Folklore und Magie zu einer eindrücklichen Geschichte von Widerstand und Transformation.
Rachel Rose: Wil-o-Wisp, 2018 (10:6 Min.)
Wil-o-Wisp folgt über drei Jahrzehnte der Mystikerin und Heilerin Elspeth Blake, die im agrarischen England des 17. Jahrhunderts, in einer Zeit spiritueller und gesellschaftlicher Umbrüche lebt. Die Geschichte beginnt 1570. Elspeth ist Ehefrau und Mutter, einer Tochter. Ihre Handlungen haben schwerwiegende Konsequenzen. Im Jahr 1603 ist Elspeth eine praktizierende Mystikerin, die durch Übertragung heilt, jedoch wegen Hexerei verfolgt wird. Der Film spielt in einer Welt, in der spirituelle Überzeugungen und mystische Praktiken mit den harten Realitäten der Privatisierung von Gemeinland verknüpft werden, die die Gesellschaft in der frühen Industriezeit umgestaltete. Durch lebendige Tableaus erforscht Rose Themen wie Transformation, Magie und den Konflikt zwischen alten Traditionen und einer sich wandelnden Welt.
Tai Shani: The Neon Hieroglyph, 2021 (57:25 Min.)
In The Neon Hieroglyph verbindet Tai Shani ihre Forschungen über den psychedelischen Pilz des Mutterkorns mit der Mythologie der Maiara, den fliegenden Hexen von Alicudi, einer abgelegenen italienischen Insel. Historisch konsumierte die verarmte Bevölkerung der Insel unabsichtlich mit Mutterkorn kontaminiertes Roggenbrot, das Halluzinationen ähnlich denen von LSD hervorrief. Die Maiara, dargestellt als positive und sozial zentrale Hexenfiguren, bemalten ihre Körper und flogen, um die Reichen zu bestehlen. Diese Erzählung steht im Kontrast zur typischen europäischen Hexenüberlieferung und bietet eine kraftvolle Geschichte des Widerstands in Notlagen. Der Film ist in neun Episoden unterteilt und enthält einen hypnotisierenden Soundtrack von Maxwell Sterling.
Hylozoic/Desires (Himali Singh Soin & David Soin Tappeser): As Grand As What, 2021 (16:50 Min.)
As Grand As What reist vom Vesuv und in den indischen Himalaya und folgt der Suche nach der verlorenen Lebenskraft: bla. Dieser Begriff stammt aus der tibetischen Medizin, und symbolisiert die Energie, die alle Lebewesen verbindet. Als Erdgeister verkleidet, führen die Künstler*innen fünf Rituale durch, um die Energiezentren des Planeten zu reaktivieren, und verwenden dafür Klang, Poesie und elementare Praktiken, um die Verbindung zur Natur wiederherzustellen.