Sebastian Utzni: 17.71% Confetti

Sebastian Utzni: 17.71% Confetti

Online Viewing Room
Opening

Aug 30, 2019 6:00 PM

Closing

Oct 5, 2019 6:00 PM

Location

Lullin + Ferrari

Limmatstrasse 214

8005 Zürich

Mitwirkende Künstler
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31. August – 5. Oktober 2019Eröffnung: Freitag, 30. August 2019, 18 – 21 Uhr

Wir freuen uns sehr, Ihnen die erste Ausstellung von Sebastian Utzni (*1981 Augsburg, DE) in unserer Galerie zu präsentieren. Utzni ist ein konzeptueller Künstler, der eine grosse Anzahl von Möglichkeiten beherrscht, Kunst zu machen. Diese entfaltet er auf eindrückliche Weise in der Ausstellung in fünf unterschiedlichen Werkgruppen.

Ein Flipperkasten verwandelt den ersten Raum der Galerie in einen Spielsalon. Bei genauerer Betrachtung erkennt das Publikum, dass dieser Flipperkasten nicht die üblichen Sujets aus der Populärkultur, wie zum Beispiel Ghostbusters, Dolly Parton, AC/DC, usw. auf der Spielanordnung aufweist, sondern Begriffe, die aus dem Kunstbetrieb stammen. Mit grösster Akribie hat Utzni eineVariante eines Flipperkastens gebaut. Seine komplette Neugestaltung beruht auf einer Darstellungsweise, die an Diagramme von Management-Modellen erinnert, auf die sich Utzni bereits in früheren Arbeiten bezog. Der Flipperkasten ist ein Modell aus den 1970er Jahren, den Utzni komplett neu gestaltete. Es entstand in der Terminologie von Marcel Duchamp ein „Assisted ReadyMade“. Die vier Spieler werden als Artist, Gallerist, Auctioneer und Collector bezeichnet: vier wichtige Teilnehmer in der Kunstwelt. Viele weitere Zutaten des Kunstbetrieb sind erwähnt: Commitment, Prediction, Advance, Mission und Integrity begleiten die schwarze Schicksalskugeldurch den Startkanal. Danach geht es ab mit Wohlwollen, Preisen und den Unwägbarkeiten des Marktes. Aufregung und Veränderung dürfen nicht fehlen, Ruhm und Erfolg stellen sich ein und Glück braucht es auch. Die fingierte Marmorverkleidung zeichnet den Flipperkasten aus und gibt ihm eine Distinktion, die alle Künstlerinnen und Künstler anstreben, um VALUE VALUE VALUE, so der Titel der Arbeit, zu erzielen. Utzni verwandelte den Flipperkasten in eine Existenzmaschine des Kunstbetriebs.

Ergänzt wird der Flipperkasten im ersten Raum von drei Bildern aus der Serie der Prediction Paintings. Utzni fragte verschiedene Akteure der Kunstwelt, welche Gemälde den Rekordverkauf im Jahr 2019 erreichen werden. Er benutzte dann ein Computerprogramm, um die in diesen Bildern verwendeten Farben zu analysieren. Das Programm filterte aus deren Farbspektrum jeweils fünf Farben heraus. Dabei wurden ähnliche Farben kombiniert, bis fünf übrig blieben. Das Programm verwendet das Farbsystem der 1625 standardisierten RAL-Farben. Die obere Hälfte der Prediction Paintings ist wie Infografiken zu lesen: Die Größe des Kreises gibt die Häufigkeit der verwendeten Farbe an. Da jeder RAL-Farbe eine eindeutige Nummer sowie eine Beschreibung zugeordnet ist, können im unteren Teil die prozentuale Verwendung und der Name der Farben abgelesen werden. Der Wortlaut der Analyse liest sich wie Bot-Poesie – hier ein Teil der Beschreibung für Farben, die im Bild von Nildeka Akunvili Crosby verwendet werden: [...] 20.80%dark dirty moss olive green, 17.71% confetti, 5.96% dark barista crater echo felix […]". Utznis Ansatz ist nicht lediglich kritisch gegenüber dem Kunstmarkt – seine Haltung ist vielmehr diejenige eines neutralen wissenschaftlichen Beobachters, der in hochglänzenden Werken in Lackfarbe auf einem Grund von Champagnerkreide die Schönheit der Malerei in Farbpunkten erscheinen lässt.

Im Hauptraum wird das Publikum von einer Installation mit einer grossen Anzahl von Postkarten arabischer Jugendlichen empfangen. Sie hängen an einem roten Faden über den Köpfen der Besucherinnen und Besucher. Die Arbeit heisst Jeunes Arabes und basiert auf der Geschichte des "Muhammad Gemäldes“: Das sogenannte Muhammad-Gemälde ist der Legende nach ein Bild, das der christliche Mönch Bahira aus der Erinnerung heraus gemalt hat, nachdem er den Propheten Muhammad getroffen hat, als dieser zwischen 9 und 12 Jahre alt war.Das Portrait wird in der Islamischen Republik Iran als Poster hergestellt und verkauft. Die Quelle für das Poster (und das Gemälde) ist allerdings ein Foto auf einer Postkarte der Firma Lehnert & Landrock, das zwischen 1904 und 1906 in Tunesien aufgenommen sein muss. Es wurde damals als Postkarte mit der Postkartennummer 106 unter dem Titel "Mohammed" oder"Ahmed" herausgegeben. Später wurde das gleiche Foto koloriert unter der Postkartennummer 760 verbreitet mit dem Titel "Jeune arabe". Wie das Bild dann zu einem Poster im Iran werden konnte, ist unklar. Eine eingerahmte Version des Posters befindet sich im Schaufenster des Imam-Khomeini-Museum – es soll eines seiner Lieblingsgemälde gewesen sein. Utzni interessieren die vielen verschiedenen Ebenen, Twists and Turns dieser Geschichte: „Jeunes Arabes“ sind heute wieder aktuell… als (Problem-)Migranten. Zur Jahrhundertwende waren sie eine Sensation aus den Kolonien. Eines dieser westlichen Kolonialbilder ist dann aber irgendwann im Iran zu einem Bild für den Propheten Mohammed geworden und gleich noch mit der richtigen Geschichte ausgestattet worden. Ein spannender Punkt ist auch die Deutungshoheit (eines Staates oder Kontexts) gegenüber eines Bildes und dass in dieser ganzen Geschichte (aber auch sonst häufig) die Kunst eine zentrale Rolle für die Erschaffung und Aufrechterhaltung staatlicher Ideologien spielt.

Gegenüber der Arbeit Jeunes Arabes hängen zwei weitere Werkgruppen: Herbarium Turicumund The Rolex-Series. Herbarium Turicum bezeichnet eine Gruppe von sechs Naturselbstdrucken von in Zürich angesiedelten Neophyten. Dabei handelt es sich um Pflanzen, die in die Schweiz absichtlich eingeführt oder versehentlich eingeschleppt wurden. Eine Übersicht über"gebietsfremde Arten und ihre Bedrohung für die biologische Vielfalt und die Wirtschaft in der Schweiz" wurde vom Schweizer Bundesamt für Umwelt herausgegeben. „Diese Problempflanzen breiten sich stark aus und verdrängen die einheimische Flora. Im Rahmen der“Strategie der Schweiz zu invasiven gebietsfremden Arten“ vom 18. Mai 2016 wurde definiert,wann und wie die einzelnen Arten zu bekämpfen sind.“ Die militärische und xenophobe Konnotation der Wortwahl rund um den Umgang mit den klassifizierten Pflanzen, wie z.B.„invasiv“ und „fremd“, ist irritierend und lässt eine gewisse Doppeldeutigkeit mitschwingen.Gerade die Begrifflichkeit „heimisch“ erinnert an die politische Instrumentalisierung von Pflanzen im Dritten Reich. Es stellt sich die Frage nach der adäquaten Wahl und Brauchbarkeit der Begriffe rund um den Umgang mit Neophyten, sowie nach dem Sinn der Bekämpfung der Pflanzen und ob nicht die Neubesiedlung von Arten in neuen Lebensräumen ein dynamischer Vorgang ist? Ab wann ist etwas fremd und ab wann ist etwas heimisch? Ab wann hat die eine Pflanze mehr recht hier zu sein, als eine andere? Die Drucke auf Pharmaziepapier sind fragil und stehen in der Tradition von Pflanzensammlern und Herbarien.

Die artifizielle, digital gedruckte The Rolex Series steht sowohl technisch als auch inhaltlich in grossem Gegensatz zum handgedruckten Herbarium Turicum. Die von prominenten Personen getragenen Rolex-Uhren wurden von Utzni im Computer in 3-D rekonstruiert. Die Armbanduhrensind als Fetischobjekte in farbigen Rahmen und gleichfarbigen Grund wiedergegeben. Die Uhren von z.B. Dalai Lama, Che Guevara, Jay-Z und Pablo Picasso stehen für sichere Werte ein. Ihre Träger dürften die Uhren als Geschenk von der Schweizer Firma erhalten haben, oder sie sind deren Werbeträger. Im Kontext der Ausstellung unterwandern die Darstellungen der Rolex Uhren die Grenze zwischen Design und Kunst. Die Uhren versinnbildlichen solides Handwerk und Beständigkeit.

Utzni interessiert sich für die Rahmenbedingungen der Kunstproduktion und -rezeption. SeinenBildfindungen gehen oft mehrwöchige Recherchen voraus. Er ist ein Ideenkünstler, der medialenVerschiebungen nachspürt. Utzni untersucht die Grenzen zwischen Kunst und Leben, Politik und Wissenschaft. Seine Ausstellungen können als eine Beschreibung und Auslegung seiner Arbeitsweisen bezeichnet werden; dabei eröffnen sich in der genauen Betrachtung Verbindungen und komplexe Bezüge zwischen den einzelnen Werkgruppen.

Sebastian Utzni geboren 1981 in Augsburg (DE), lebt und arbeitet in Zürich und Luzern.Die Eröffnung findet in Anwesenheit von Sebastian Utzni am Freitag, 30. August 2019 von 18 bis 21 Uhr statt. Für weitere Information und Bildmaterial kontaktieren Sie bitte Lullin + Ferrari,Limmatstrasse 214, CH–8005 Zürich, Tel +41432052607, info@lullinferrari.com www.lullinferrari.comÖffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 12–18 Uhr, Samstag 11–17 Uhr und nach Vereinbarung

Externer Link:
https://www.lullinferrari.com/